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Buddha & Psyche

Nach außen wirkte die Frau, die in die Psychotherapie kam, wie eine Powerfrau. Eine Krankenschwester, verheiratet, zwei Kinder. Ihr Alltag war durchgetaktet. Doch dann geriet ihr Leben aus dem Lot sie musste viel weinen. Brauchte sie jetzt ein Resilienzprogramm?

In der Frühe musste alles schnell gehen, um die Kinder rechtzeitig zur Schule zu bringen. Auch wenn sie Teilzeit arbeitete, war die Tätigkeit im Krankenhaus eine Herausforderung. Am Nachmittag und Abend war einiges für die Familie und im Haushalt zu erledigen. Sie und ihr Mann teilten sich die Hausarbeit auf, doch oft kam etwas dazwischen. Zum Glück sprangen dann die Eltern und Schwiegereltern ein, um die Kinder zu betreuen.

Dann wurde die Mutter der Klientin schwer krank. Der Vater war mit der Situation überfordert. Die Frau fühlte sich verpflichtet, sich mehr um ihre Eltern zu kümmern. Mit der Zeit war alles zu viel. Sie war gestresst und gereizt. Eine Bekannte riet ihr, es mit einer Psychotherapie zu versuchen.

Wann hilft weinen?

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Das Erstgespräch war für die Frau mit viel Scham verbunden, denn sie fühlte sich als Versagerin. Sie erklärte, dass sie als Krankenschwester so viel über Resilienz gelernt und angewendet habe. Sie habe viel über positives Denken gelesen und Yoga praktiziert. Und jetzt sollte sie auch noch zur Psychotherapie kommen. Das sei für sie eine zusätzliche Belastung. Sie habe gelesen, dass sie in der Therapie ihre vergangenen Erfahrungen mit ihren Eltern aufarbeiten oder sich ein Programm zur Stärkung ihrer Resilienz überlegen sollte. Dazu habe sie aber jetzt keine Kraft.

Der Psychotherapeut zeigte dafür Verständnis. Er meinte, sie müsse in der Therapie gar nichts leisten, sondern solle einfach nur ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Die Frau begann, zu schluchzen, und sagte immer wieder: „Ich kann nicht mehr.“

Sie weinte fast die ganze Stunde und meinte abschließend, dass sie jetzt erleichtert sei. Auch in den folgenden Stunden weinte sie viel. Einmal klagte sie über die schwierigen Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Ein anderes Mal ärgerte sie sich über ihren Vater, weil dieser so unselbstständig und stur sei.

Der Therapeut hörte mitfühlend zu. Die Frau brauchte keine Ratschläge, sie wusste selbst, was ihr guttat. Nachdem die Frau wieder intensiveren Zugang zu ihren Gefühlen bekommen hatte, begann sie langsam, Dinge zu ändern. Als es ihr einmal besonders schlecht ging, ließ sie sich krankschreiben. Dann fragte sie ihren Bruder, ob er sich mehr um die Eltern kümmern könne.

Auf die Frage, was ihr in der Therapie besonders geholfen habe, meinte die Frau, sie habe erkannt, dass sie keine Versagerin sei. Es gebe Situationen, in denen auch das beste Resilienzprogramm nicht weiterhelfe. Sie habe gelernt, dass sie nicht immer nur positiv denken müsse. Es sei völlig in Ordnung, schwach zu sein, nur noch zu weinen und anzuerkennen, dass die Situation gerade mies sei. Dazu passt ein Zitat von Thich Nhat Hanh: „Sich auszuruhen ist eine Voraussetzung für Heilung.“


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 122: „Resilienz"

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Bild Teaser & Header © Pixabay

Christian Höller

Christian Höller

Christian Höller, MSc., ist akademisch ausgebildeter Psychotherapeut und Coach in Wien. Seine Fachrichtung ist Integrative Therapie. Seine Praxis befindet sich im vierten Bezirk. Er ist unter anderem spezialiert auf folgende Themen: Achtsamkeit, Spiritualität, Krisen, Burn-out, Lebensbegleitungen...
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