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Ich habe Schwellen immer geliebt, oft über sie und ihren Sinn nachgedacht. Wahrscheinlich gibt es dieses Wort erst, seit der Mensch sesshaft geworden ist – oder brauchen wir sie, diese äußeren und inneren Haltepunkte, bevor wir weitergehen?

Ich nehme Schwellen in Häusern und Wohnungen intensiv wahr und beziehe sie in meine Meditationspraxis und Workshops mit ein. Ob Menschen, die in Zelten leben, in der Wüste, in Nepal und Tibet, in Flüchtlingslagern, nicht auch Schwellen kennen? Ich glaube, schon. Niemand kann wollen, im Schlaf oder bei irgendeiner intimen Verrichtung plötzlich vor einem Fremden zu stehen oder auch vor einem Bekannten, den man jetzt nicht erwartet hat. Fahrten, Reisen erlebe ich oft, je nach Tiefe der Bedeutung der Reise, wie eine Schwelle. Schwellen sind mit Energie aufgeladen, sie kennzeichnen Übergänge von einem Ort zu einem anderen, von einem Sein zu einem anderen. Manchmal sind sie fließend, wie auf Reisen, manchmal starr, wie zwischen zwei Räumen eines Hauses.

Es gibt jedoch auch innere Schwellen, die überschritten werden müssen, wenn ich an einen bestimmten Ort gelangen möchte. Schwellen der Höflichkeit, der Konventionen, aus Abgrenzung, der Moral, Schwellen aus Ängsten, seien sie eingebildet oder real. Darf ich so zudringlich sein, diesen Brief schreiben und ihn auch abschicken, dieses oder jenes sagen, darf ich den Termin absagen, darf ich auf den verehrten oder geliebten oder fremden Menschen so zugehen, wie es mir entspricht, und mein Herz sprechen lassen?

Letztlich kann ich mich nur auf meine Intuition verlassen. Auf meine Lebenserfahrung mit Risiken, auf die guten Ergebnisse gereinigter Luft zum Bespiel, wenn bislang verborgene Themen in einem Klima ohne Angst angesprochen werden. Wo ist die nächste Schwelle, die überschritten werden will? Stehe ich gerade auf einer und merke es gar nicht? Spüre ich die ganze Unsicherheit, die mit Schwellen einhergeht, mit einem Fuß im alten, mit dem anderen im neuen Raum stehend? Stehe ich starr oder wippe ich hin und her?

Es gibt Hüter*innen der Schwelle, die uns gut zureden, in der vermeintlichen Sicherheit vertrauter Räume zu verharren. Lieber zu träumen als zu wagen, das Träumen lieber ganz sein zu lassen. Wer immer im Bekannten bleibt, verlernt das Träumen. Es will, wie jeder Muskel, trainiert werden. Jedes Seminar, jeder Workshop, jedes Retreat, ja, jeder Schritt aus dem Haus, ist ein Schritt über die Schwelle.

Schwellen

Gestern, als ich von einer Zoom-Begegnung mit meditierenden Freunden aufstand und in einen anderen Raum ging, dachte ich nach, traurig geworden. Die Schwellenräume sind verschwunden, kam mir in den Sinn. Sie fehlen mir. Sie haben mich ausgedrückt, ich hatte mich auf einen Weg gemacht, zu der Familienbildungsstätte hin oder in eine andere Stadt oder in die Natur. Ich bin gelaufen oder gefahren, habe Dinge eingepackt, mich entscheiden müssen, Dinge zurücklassen müssen, habe meine Wohnung abgeschlossen und war unterwegs, mit Ziel. Seit einem Dreivierteljahr mache ich das weitaus weniger bis gar nicht mehr. Gehe nur noch zum Einkaufen und bin meist froh, wenn ich die Maske wieder abnehmen kann. Sicherlich gehe ich zu wenig spazieren und genieße zu selten die Natur, ich glaube, das würde mich auf andere Gedanken bringen. Aber ich habe als Selbstständige einfach viel zu tun, um die Gruppenmitglieder, Freunde zusammenzuhalten. Und das findet, anders als früher, immer von zu Hause aus statt. Immer am Bildschirm oder Telefon.

Man achtet darauf, dass genügend Saft zur Verfügung steht. Dass man gesammelt ist. Drückt auf die Knöpfe, die Maus oder den Bildschirm selber und ... ist drin. Das Klingeln beim anderen, die schriftliche Aufforderung, die Veränderung des Bildschirms, und dann sind die Gruppe oder der einzelne Mensch plötzlich da. Keine Schwelle mehr zu überschreiten, keine Schritte mehr zu gehen. An den Menschen vorbei sich einen Platz in einem Raum suchen. Sinnlich. Gerüche, feine Geräusche von raschelnder Kleidung wahrnehmen. Ich bewege mich durch Räume, über Schwellen, mache Türen auf und zu, gehe vorwärts, seitlich, drehe Menschen den Rücken zu, widme mich einer Person aus einer Gruppe. Drehe den Kopf zu ihr hin.
Ich habe eine Zugfahrt hinter mir, Landschaften gesehen, wechselndes Wetter erlebt und auf der Haut gespürt, ich bin viel gelaufen, zur Straßenbahn, habe Schaufenster und Autos, Fahrräder gesehen und habe meine Beine, meine Füße, meine Lebendigkeit im Raum gespürt. Persönlich habe ich Menschen begrüßt, im Buchladen, am Kiosk, habe ein Wesen angelächelt, und das hat zurückgelächelt.

Bis ich an einer Tür stand, klingelte, die Tür öffnete sich, und ich überschritt eine Schwelle. Und dann noch eine. Bis ich in dem Raum stand, wo ich zum Beispiel unterrichten wollte. Es war bedeutsam, an diesem Ort der Begegnung zu sein.

Schwellen bewusst zu überschreiten, sogar auf ihnen zu verweilen, schärft unsere Achtsamkeit. Verbeugen wir uns vor ihnen: den Schwellenräumen. Hörst du den Ruf?

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Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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