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Verbotene Liebe zwischen Geistlichen und Gemeindemitgliedern, Sex mit Schutzbefohlenen. Diese Unfähigkeit, über das Verbotene und Heimliche zu sprechen, ist das Tragischste und Unheilvollste.

Wir haben gelernt, dass sowohl bestimmte Themen als auch bestimmte Worte so tabuisiert sind, dass wir sie vor uns selbst verheimlichen müssen. Starke, unerträgliche Scham gepaart mit Schuldgefühlen erfasst uns, oder erfasste uns, als wir jung waren, wenn wir ertappt wurden oder von freieren Geistern, als wir es selbst waren, zum Gespräch aufgefordert wurden, oder wenn wir nur an unsere „Sünden“ dachten. Selbst die Evangelischen wie ich, geboren 1952, mit genügend preußischem Hintergrund, hatten meist Eltern, die päpstlicher als der Papst ihren Kindern alles Unkeusche austrieben, indem sie sich und ihre Sprösslinge streng kontrollierten.

Wie es in katholischen Kinderstuben ländlicher Regionen zugehen konnte, erfuhr ich später, als ich nach Bonn umzog und im Rheinland hängen blieb. So ziemlich am Anfang lernte ich S. kennen, der neben Soziologie und Psychologie auch katholische Theologie studiert hatte und Professor geworden war. Er wurde mir ein sehr guter Freund, und so erzählte er mir, wie er die Priesterseminare erlebt hatte, seine Kommilitonen. Er konvertierte zum evangelischen Glauben, er, ein offen schwul lebender Mann, der ein Buch darüber geschrieben hatte. Fast alle seien schwul, sagte er, und wie viel Unterdrückung, Heimlichkeit und Verleugnung er erfahren habe, was man von ihm und anderen an offizieller Heuchelei verlangte, sei unfassbar. Nun ist mir bewusst, dass schwul nicht gleich pädophil ist, wie es auch verbotene Liebe, heimlichen Sex, erpressten Sex zwischen Ordinierten und Nichtordinierten, zwischen Priestern und Nonnen, unter Gemeindemitgliedern gibt, wie auch zwischen Priestern und Minderjährigen UND Schutzbefohlenen. Wer das Buch „Der Kleriker“ von Eugen Drewermann gelesen hat, müsste sich selbst oder ihm/ihr bekannte Geistliche wiedererkennen.

Wie jeder von uns sollten wir uns wirklich und ehrlich, engagiert und mutig darum kümmern, dass wir über Begehren, Sehnsucht und Eros, unsere Wünsche nach Austausch von Zärtlichkeit und Berührung, sexuelle Fantasien und Geschlechtsteile, Möglichkeiten der Vereinigung zu sprechen üben. Ich sage nicht, dass es leicht ist, ich sage, dass alle es lernen (müssen), die in Partnerschaften leben und alle lernen sollten, die Lehrende, Mentoren, Geistliche, Eltern sein wollen oder sind. Und vor allem, dass sie ehrlich Rechenschaft ablegen können über ihr Liebes- und Sexleben. Oder abzulegen LERNEN, denn, wie in der Liebe, wird man auch im Sprechen über schwierige Themen im Laufe der Zeit immer besser.

Wir können, so glaube ich, die hohe Anzahl der Übergriffe nicht nur am verordneten Zölibat bei Mönchen, Nonnen und Priestern bestimmter religiöser Traditionen festmachen. Wenn wir die Zahl der bekannten Verirrungen und strafrechtlich relevanten Grenzüberschreitungen, von herabwürdigender Anmache bis Vergewaltigung, von Zwang zur Prostitution bis zu Kinderpornografie mit einbeziehen, dann ist festzustellen, dass möglicherweise heilsame und ehrliche Liebesbeziehungen, in denen Sexualität offen und überwiegend glücklich für beide (alle) Partner und Partnerinnen gelebt wird, in der Minderzahl sind.

Liebe

Weil dies aber so ist und weil viele von uns, Männer und Frauen – und einige unserer Kinder und Kindeskinder entsetzlicherweise – von sexuellen Übergriffen verstört oder traumatisiert sind, von Gewalt in Liebesbeziehungen zwischen den Eltern, von sexualisierter Macht und Gewalt betroffen und berieselt in den Medien, sehnen wir uns nach echter „Leadership“, d. h. vertrauenswürdiger Führungsstärke bei unseren Autoritätsfiguren, Bezugspersonen, denen wir je nach unserem Alter oder nach den Umständen Folge leisten sollen. Kindergärtner*innen und Politiker*innen, Therapeut*innen und Ärzt*innen, Lehrende und eben … Ordensleute.

Ordensleute: Das sind Menschen mit einem besonderen Auftrag, den wir manchmal gar nicht so ganz verstehen. Aber WAS wir verstehen, wenn wir überhaupt (noch) einen Zugang zu ihnen haben und sie nicht von unseren eigenen oder fremden Krankenbetten verscheuchen, ist, dass sie jeden Kummer, tiefste Verzweiflung und unerträgliche Not anzuhören bereit sind, dass sie sich mit den schmerzlichen und sehr besonderen Übergängen des Lebens auskennen, dass sie Einblicke haben, wie man Hoffnung und Vertrauen wieder beleben kann, wie man sich fallen lassen kann, wenn man fällt, wie und wo man Schutz und Trost findet, wo es keinen gibt. Kurz, dass sie zumindest darum ringen, Gottes Willen, dessen Präsenz, zu bezeugen in einer gottlosen Welt, oder zumindest in gottlosen Phasen oder Stunden unseres eigenen Lebens.

Jetzt frage ich: Wie sollen oder können wir Schützlinge mit unseren Jugendlichen und Kindern und anderen, die wir vielleicht betreuen, neben denen wir wohnen, Vertrauen aufbringen, diese Lieben in Gottesdienste, Gemeinden, auf Pilgerreisen und Kinderfreizeiten zu schicken? Wie können wir guten Gewissens Vorbild auch an Rechtschaffenheit sein und bleiben, wenn wir diese realen Gefahren des Machtmissbrauchs unterschlagen, kleinreden, verdrängen, das heißt ja auch: Wieder keine Sprache dafür suchen und finden? Auch vor buddhistischen Lehrern und Formen des Lehrens muss in differenzierter Weise gewarnt werden. Warnen heißt: Aufklären. Informieren. Persönlich werden. Für Fragen und Kritik offen sein.

Aber vor allem vermisse ich eines: Dass eine Welle des Mitgefühls, der Information, ehrlicher Bekenntnisse, kreativer Vorschläge, wie ausgebildete, lebenserfahrene und unbescholtene Menschen kostenfrei und unbürokratisch Hilfe anbieten, zu den Opfern geht. In jeder Kirche und Gemeinde, in jedem Meditationszentrum möchte ich Hinweise und Informationsblätter zum Thema Machtmissbrauch, zu Maßnahmen zur Prävention und Heilung der Beziehungen ausliegen sehen.

Mir ist klar geworden, und dies ist sicherlich vielen so gegangen, dass die Wirkungen von sexueller und emotionaler Ausbeutung von Abhängigen, vor allem abhängigen Kindern und Minderjährigen, zwar ein meist anerkannter Strafbestand ist, aber in seinen verheerenden Wirkungen überhaupt (noch) nicht verstanden wird. WENN und solange diese seelische Ver- und Zerstörung, die sich natürlich auch körperlich manifestiert, nicht ernst genommen wird, wird sich nichts daran ändern, dass vor allem der Ruf und der Name der Institution, des Täters und seiner Gefolgsleute, zu denen durchaus auch Frauen gehören, geschützt werden.
Oft wird zur Entlastung von Tätern und Täterinnen gesagt, sie seien „auch nur Menschen“. Nein. Warum wird die Messlatte plötzlich so niedrig angelegt? Wären sie menschlich und reif, was man beides von Geistlichen erwarten darf, ja erwarten soll, dann würden sie alles daransetzen, ihr Ego nach ganz hinten zu schieben und freimütig zuzugeben, was zugegeben werden muss, würden Reue empfinden von der ersten Minute der Erkenntnis an und würden Buße tun, was die Opfer ihnen auferlegen würden. Sie wären selbst höchst interessiert daran, wie es den Geschädigten geht und wollten beizutragen zu deren Seelenheil. Sie würden zustimmen, wenn man ihnen riete, sich ggf. psychotherapeutisch behandeln zu lassen bzw. sich für eine Weile in eine Klinik zu begeben anstatt sich und anderen erneuten Versuchungen auszusetzen.

Dass die jeweiligen Oberhirten nicht stärker unter Druck stehen und vom Kirchenvolk und von ihren Anhängern unter Druck gesetzt werden, außer dass Menschen Kirche und Gemeinschaften verlassen, ist unverständlich und unangemessen. Wir dürfen sie einfach nicht mehr empfehlen, die über toxische Beziehungen, ethische Grenzverletzungen und das Leid der Geschädigten weiter schweigen und sich wahrscheinlich freikaufen. (Über Priesterkinder schreibe ich ein anderes Mal.)

Seit Sigmund Freud und nach ihm Carl Jung und viele gute Therapeutinnen und Therapeuten nach ihnen Gesetze unseres Seelenlebens erforscht und zu deren Heilung beigetragen haben, kann und darf niemand mehr dahinter zurück. Es gibt Grenzen zwischen den Generationen und Autoritätspersonen/Bezugspersonen und den ihnen Anvertrauten, deren Verletzung meist und viel zu oft große Schäden nach sich ziehen. Deshalb sind diese Grenzverletzungen in einem aufgeklärten Rechtsstaat verboten. Zeitgemäße Aufklärung über Liebe, die sich auch körperlich ausdrückt, über Gewalt, Macht, Machtmissbrauch und Gewaltverzicht, Selbsterfahrungs-Workshops, über Entwicklungspsychologie, möglicherweise auch psychologische Gutachten – dies müsste diskutiert und ausgefeilt werden – gehören meines Erachtens in die Ausbildung von Theologinnen und Theologen, möglicherweise auch von Richterinnen und Richtern, von Polizist*innen.

Ich möchte nicht mehr hören und lesen, dass ein Geistlicher sein Amt weiterhin ausüben darf, nachdem er des Machtmissbrauchs überführt wurde. DIES ist genauso ein Skandal wie der Missbrauch selbst. Ebenso ist es unfassbar, dass ein Geistlicher sich dem Willen derer widersetzt, die ihn als Seelsorger bei einer bestimmten Zeremonie nicht akzeptieren. DAS ist Machtmissbrauch.

Ein Nein ist ein Nein ist ein Nein.

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Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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