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Ich denke ständig an Bernie Glassman, vor allem, wenn Menschen Probleme haben, sich für etwas zu engagieren. Die einen denken, hier kann man nichts machen, die Mächtigen sind immer am Drücker.

Die anderen sagen, als Christ reicht es mir, die Geschicke in Gottes Hand zu legen, für alle am Krieg Beteiligten zu beten und, wenn ich kann, den einen oder die andere Ukrainerin oder Initiative hier, wo ich wohne, zu unterstützen. Wieder andere, diesmal Buddhistinnen oder Buddhisten, treffen sich zum Friedensgebet: Sie widmen ihre Praxis oder bestimmte Chants dem Frieden, den Ukrainern, dem Ende des Leidens … Und natürlich gibt es viele Formen der Andacht, wunderschöne, die mich berühren würden, aber von denen wir nichts erfahren.

Was hat mich jedoch am meisten berührt – und andere aber auch? Drei Gesichtspunkte möchte ich mit euch teilen.

1. Bernie Roshi – er legte auf den Roshi keinen Wert, daher verwende ich den ihm zustehenden Ehrentitel nur einmal – sprach und schrieb von "unterversorgten Orten" (underserved places). Man habe sich diese so vorzustellen wie eine verletzte Hand oder ein schmerzendes Organ in unserem Körper: Ab einem gewissen Ausmaß des Schmerzes wenden wir uns diesem Schmerzpunkt zu, und zwar so innig wie möglich. Bei der Hand geschieht das beinahe automatisch, so sehr sind auf ihre Funktionsfähigkeit angewiesen, bei anderen Störungen und Krankheiten überhören wir schon einmal die Signale. Ganz so, wie wir es mit den Störungsfeldern in der Welt auch tun. Zen-Peacemakerinnen und Zen-Peacemaker üben sich darin, sich eben NICHT, wie üblich, wegzufühlen vom Leiden eines Körperteils und sich eine Pille einzuwerfen, sondern sich betont hinzuwenden. Einer der chronisch "unterversorgten Orte" ist natürlich Auschwitz und insbesondere Birkenau. Gedenkfeiern erfüllen unser Bedürfnis, Aufmerksamkeit und andachtsvolle Geschenke in Zeremonien zu machen. Im Schamanismus ging man so auch mit körperlichen Gebrechen um.

Unsere Aufgabe besteht nun darin zu erkennen welches ist genau der am bedürftigste Ort? Zum Beispiel in einem Krieg, in einem Konflikt, in mir selber, und wie möchte und kann ich daran gehen? Wir sollten allerdings bedenken, dass unser Verstand, der uns ohnehin oft genug vom Handeln abhält, oft gar keine Zeit hat, befragt zu werden. Plötzlich ist Krieg, und für Viele bedeutet das, mit akuter Todesangst umzugehen, und für uns heißt es: Welche Register ziehen wir, um wo und wie zu handeln? Telefonieren, mit welcher Absicht? Und mit wem? Und dann?

Auschwitz-Birkenau, einer der "unterversorgten Orte" in Europa, lehrte mich so vieles. Er hört auch nach sechs Zeugnis-Ablegen-Retreats nicht auf, reiche Lehren für mich bereitzuhalten. „Geh an die Orte, die Du fürchtest“, schrieb Pema Chödrön, und Bernie nahm das wörtlich

2. Im großen Kreis zu sitzen, wirklich auf der Erde von Birkenau, mit Männern und Frauen unterschiedlichen Alters, verschiedener Religionen oder Wertesysteme, Sprachen und Kulturen – manche von uns ordiniert in einer Religion, andere praktizierend, andere bewusst unreligiös: DAS war für mich die wunderbarste Erfahrung. Gemeinsam. Haben wir uns auf Zeremonien eingelassen, übten jedoch daneben unsere jeweiligen „Gottesdienste“ an getrennten Orten auf dem riesigen Friedhof aus. Überall waren wir willkommen. Ich habe verschiedenartige Messen kennengelernt. Buddhistische Zeremonien. Jüdische Gebete und vor allem das geliebte Kaddish. Wir beteten in vielen Sprachen, auch auf Arabisch, wenn Araber da waren, auch zweimal auf Russisch. Was ich besonders mochte und später auch selbst öfters organisierte und feierte, waren Kreise, in die alle Anwesenden etwas einbringen konnten, nicht nur ordinierte Stellvertreter*innen. Mit Geflüchteten habe ich solche Kreise erlebt, mit Kriegskindern und Kriegsenkeln, mit Einheimischen und Gästen (auf Lampedusa, auf dem Meer, in Bonn). Und immer sind die Anwesenden sehr berührt.

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3. Lassen Sie mich zusammenfassen: Solche Friedenskreise können mit Priesterinnen und Priestern mehrerer Religionen/Traditionen sehr wirkungsvoll zusammengerufen werden. Doch diese Geistlichen nehmen kaum oder gar keine Sonderfunktion wahr (auch in Birkenau gab es nur wenige Ordinierte MIT Funktionen, obwohl viele „im Dienst“ dabei waren. Der Friedenskreis (oder Zen-Peacemaker-Kreis) ist es selbst, der auch die transformatorischen Aufgaben eines Priesters oder einer Priesterin wahrnimmt. Alle hielten also das Feld nach ihrem Vermögen.

Damit ist die Sangha der Zukunft beschrieben, das heißt: die Sangha von heute, an der nicht nur ven. Bernie, sondern auch ven. Thich Nhat Hanh gebaut haben, und wir Frauen haben ohnehin nie aufgehört, „unser Ding“ in der Familie und der erweiterten Familie zu machen, zu beten und zu heilen, wie es uns schon immer gefiel.

Für unsere persönliche und kollektive Antwort auf den Krieg gegen die Ukraine sehe ich hier gute Denkanstöße. Wo sehen Sie den „unterversorgten Ort“? Können Sie sich vorstellen, sich diesem zuzuwenden? Und wie genau?

Im nächsten Blogbeitrag von mir werden Sie hierzu eine Anregung finden. Ich bin gespannt. Merke: Wer kreativ ist, besiegt die Angst. Ich verneige mich. 

Weitere Beiträge von Monika Winkelmann finden Sie hier

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Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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