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Diskurs

Liegt allen Religionen das Gleiche zugrunde oder sind sie doch grundverschieden? Ein Klärungsversuch über eine Frage, die schon viele bewegt hat.

Die Vorstellung, dass es in den mystischen Richtungen der Weltreligionen über alle dogmatischen Unterschiede hinweg größere Übereinstimmungen gibt, sie vielleicht sogar verschiedene Einblicke in dieselbe zugrunde liegende Wirklichkeit vermitteln, ist sehr populär und zunächst auch sehr sympathisch. Alle interreligiösen Konflikte ließen sich dann als unberechtigt zurückweisen. Es gäbe keinen Grund mehr, andere religiöse Traditionen abzulehnen. Keine gläubige Person müsste die Wahrheitsansprüche der eigenen Tradition durch die Existenz anderer religiöser Vorstellungen infrage gestellt sehen. Die bedrohliche Unsicherheit angesichts häufig widersprüchlicher religiöser Weltbilder könnte der beruhigenden Gewissheit weichen, dass sich zumindest in wesentlichen Dingen letztlich doch alle einig sind. Tatsächlich finden sich in den mystischen Richtungen Annäherunen in den Lehren und der Praxis sowie eine tendenziell undogmatischere Haltung, was die jeweiligen Mystikerinnen und Mystiker vonseiten der religiösen Autoritäten oft dem Vorwurf der Häresie aussetzt.

Typisch für solche traditionsübergreifenden Ähnlichkeiten ist etwa das Gefühl einer das Selbst überschreitenden Verbundenheit mit allem, eine Verbundenheit, die auch konfessionelle Grenzen zu überwinden scheint. Wenn man die Vorstellung von Überschneidungen und weltanschaulicher Gemeinsamkeiten in der Mystik jedoch zu stark gewichtet, entsteht ein neues Problem. Die Vorstellung einer Einheitsmystik ist ein sehr umfassendes Thema, das an viele Grenzen stößt, besonders im Hinblick auf den Buddhismus. Doch mit diesen Gedanken zu spielen, schafft auch die Möglichkeit einer differenzierten Einschätzung. Die Behauptung einer Einheitsmystik geht davon aus, dass sich Personen aus weit auseinanderliegenden Epochen oder Kulturkreisen als „Mystikerinnen“ oder „Mystiker“ bezeichnen lassen, weil sie hinreichend an dasselbe glauben beziehungsweise mit vergleichbaren Methoden weitgehend übereinstimmende Erfahrungen machen. Das ursprüngliche griechische Wort „mystikos“ wurde in der Spätantike populär und meint wörtlich „verborgen“ oder „geheimnisvoll“. Genauer bezeichnet es das Gefühl einer Vereinigung mit dem Absoluten, einem der Wirklichkeit insgesamt zugrunde liegenden letzten Prinzip. Das Christentum hat diesen Begriff übernommen, verstand darunter aber vor allem eine Tiefendimension der biblischen Schriftauslegung, in der die eigentliche Bedeutung der göttlichen Botschaft zum Ausdruck kommt.

Im Rückblick
Die heute gebräuchliche Rede von Mystik und die entsprechende Bezeichnung von Personen ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. So war zum Beispiel Meister Eckhart (1260–1328 n. u. Z) für die Menschen seiner Zeit kein Mystiker, sondern eben ein Meister (magister), das heißt ein akademischer Theologe, auch wenn er sich mehrfach vor der Inquisition verantworten musste. Wie der Mittelalterexperte Kurt Flasch betont, war es erst die Germanistik des 19. Jahrhunderts, die ihm den Titel eines Mystikers verlieh. Gleiches gilt für die traditionsübergreifende Rede von anderen sogenannten Mystikerinnen und Mystikern. Vor allem zwei Entwicklungen der europäischen Geschichte sind hier relevant: Zum einen nahm die konfessionelle Bindung vieler Menschen an die Kirchen oder das Christentum im Zuge fortschreitender Säkularisierung ab, zum anderen stieg das Interesse an außereuropäischen Traditionen durch immer mehr allgemein zugängliche Literatur. 1819 veröffentlichte Goethe seinen „West-östlichen Divan“ als anerkennende Antwort auf die Werke des persischen Dichters Hafis. Nach und nach gab es Übersetzungen der Upanischaden, buddhistischer Texte oder etwa auch des chinesischen I-Ging.

Religionen

Meister Eckhart ist als Statue am Kölner Dom verewigt.
Dieser erweiterte Horizont in der Moderne erzeugte aber auch Unsicherheit und Ängste. Eine immer besser informierte Öffentlichkeit sah nicht nur das Weltbild der biblischen Überlieferung durch die sichtbaren Erfolge der Naturwissenschaften herausgefordert, sondern war zusätzlich noch mit einer Vielzahl religiöser Weltbilder konfrontiert, die über den letzten Grund der Wirklichkeit sehr unterschiedliche Geschichten erzählen und sich damit gegenseitig infrage stellen. Ein attraktiver Ausweg, der sowohl die Vielfalt wertschätzen als auch Halt in einer neuen übergreifenden Einheit stiften konnte, war die Vorstellung einer mystischen Gemeinsamkeit aller religiösen Lehren.


Auch wenn man akzeptiert, dass die moderne Idee einer mystischen Einheit aller Religionen dem Wunsch nach weltanschaulicher Neuorientierung entspringt, ist das noch kein Grund, an der Idee an sich zu zweifeln. Es bleibt die Frage, ob ein Vergleich der Zeugnisse verschiedener Traditionen für diese Idee spricht oder nicht. Die Frage richtet sich dann also auf die Vorstellungen der letzten Wirklichkeit und die damit verbundenen Erfahrungen in der Praxis, was hier am Beispiel von Christentum und Buddhismus angedeutet werden soll.

Weltsicht und Praxis
Ein beliebtes Beispiel in diesem Zusammenhang ist ein Vergleich zwischen dem schon genannten Meister Eckhart und dem Zen-Buddhismus. In einer seiner Predigten sagte Eckhart zum Beispiel: „Du sollst ihn [Gott] bildlos erkennen, unvermittelt und ohne Gleichnis. Soll ich aber Gott auf solche Weise unvermittelt erkennen, so muss ich schlechthin er und er muss ich werden. Genauerhin sage ich: Gott muss schlechthin ich werden und ich schlechthin Gott.“ Und etwas weiter: „Wie denn aber soll ich ihn [Gott] lieben? – Du sollst ihn lieben, wie er ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild ist; mehr noch: wie er ein lauteres reines, klares Eines ist, abgesondert von aller Zweiheit. Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts.“

Zum Vergleich hier eine Passage des Chan-Meisters Huangbo Xiyun aus dem 9. Jahrhundert: „Alle Buddhas und alle empfindenden Wesen sind nichts als der Eine-Geist, außerhalb dessen nichts existiert (...), da er alle Bestimmungen, Maße, Namen, Spuren und Vergleiche transzendiert (...) Er ist das, was du vor dir siehst – fang an, darüber nachzudenken, und du befindest dich augenblicklich im Irrtum. Er ist wie die grenzenlose Leere, die weder auszuloten noch zu durchmessen ist. Der Eine-Geist allein ist der Buddha und es besteht kein anderer Unterschied zwischen dem Buddha und den empfindenden Wesen, als der, dass empfindende Wesen an Formen haften und so außerhalb ihrer selbst nach Buddhaschaft suchen.“
Wenn man sich die beiden repräsentativen Zitate in Ruhe anschaut, wird deutlich, wo Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede liegen. Beide sprechen von einer letzten Wirklichkeit, die sich einer sprachlichen Erfassung entzieht: Christlich „Gott“, buddhistisch „der erwachte Eine-Geist“, der identisch ist mit den Buddhas und der Leere (Leerheit). Bei Eckhart heißt es: „bildlos erkennen, unvermittelt und ohne Gleichnis“, bei Huangbo: jenseits aller „Bestimmungen, Maße, Namen, Spuren und Vergleiche“. Auch sprechen sich beide Texte auf ihre Weise gegen die Vorstellung eines Getrenntseins des Menschen von dieser Wirklichkeit aus. Eckhart: „Gott muss schlechthin ich werden und ich schlechthin Gott.“ Huangbo: „Alle Buddhas und alle empfindenden Wesen sind nichts als der Eine-Geist.“

ReligionenAbbildung des Chan-Meisters Huangbo Xiyun aus dem 9. Jahrhundert


Ein Nicht-Geist

Trotz dieser Ähnlichkeiten bleiben aber auch wesentliche Unterschiede. Über das richtige Verhältnis zu Gott sagt Eckhart: „Du sollst ihn lieben, wie er ein Nicht- Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild ist; mehr noch: wie er ein lauteres reines, klares Eines ist, abgesondert von aller Zweiheit. Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts.“ Dieses „Nichts“ meint hier, dass wir Gott nicht erkennen können, dass er von einem ganz anderen Sein und daher für uns wie ein Nichts ist, trotzdem bleibt Gott noch als ein fester Bezugspunkt, der unabhängig vom Menschen existiert und mit dem man sich in einer liebenden Beziehung verneint.

Huangbo dagegen sagt: „Der Eine-Geist allein ist der Buddha und es besteht kein anderer Unterschied zwischen dem Buddha und den empfindenden Wesen als der, dass empfindende Wesen an Formen haften und so außerhalb ihrer selbst nach Buddhaschaft suchen.“ Für ihn geht es nicht darum, sich mit Buddha oder der Buddhaschaft zu verbinden, sondern jede Anhaftung daran loszulassen und zu erkennen, dass da tatsächlich nichts ist, womit man sich verbinden könnte. Erst dann verwirklicht sich die eigentliche Buddhaschaft. Das richtige Verständnis der letzten Wirklichkeit richtet sich nicht auf ein absolutes Gegenüber, vielmehr sind die Buddhas, der Eine-Geist und so weiter, „das, was du vor dir siehst“. Diese letzte Wirklichkeit findet sich in der Alltagserfahrung, nämlich dann, wenn man die Leerheit aller Phänomene realisiert, sich befreit von egozentrischer Anhaftung und alles, was einem begegnet, mit einer achtsamen Haltung so sein lassen kann, wie es sich im Bewusstsein präsentiert.

Religionen


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 113: „Grenzen überschreiten"

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Der Jesuit Ignatius von Loyola begründete die Praxis der christlichen Exerzitien.

Diese Unterschiede zeigen sich auch in der Praxis. Es wird manchmal so dargestellt, dass christliche Kontemplation und buddhistische Formen der Geistesschulung sehr ähnlich sind und letztlich nach dem Gleichen streben. Ein beliebtes Beispiel auf christlicher Seite sind die Exerzitien, also „geistige Übungen“ nach Ignatius von Loyola (1491–1556). Im Zentrum der vierwöchigen Übungen steht zunächst das Anerkennen der eigenen Sündhaftigkeit, die mittels angeleiteter Visualisierungen der Stationen des Lebens Jesu durch die Gewissheit der Größe Gottes und seiner Liebe überwunden werden soll. Das Ziel ist eine intensivierte emotionale Bindung zu Christus und Gott, die den Menschen verwandelt. Buddhistisch dagegen geht es letztlich auf der Basis einer Beobachtung des Geistes um das Erkennen leiderzeugender Haltungen, vor allem starke Ich-Fixierung und Anhaftung jeder Art, letztlich auch gegenüber den Buddhas oder der Buddhaschaft – das heißt: Es geht um Loslassen, um das Nichtbinden. Der bekannte Autor christlich spiritueller Literatur und ehemalige Trappistenmönch Bernardin Schellenberger äußert sich über diese Unterschiede sehr klar: „Bei den christlichen Autoren von den Anfängen bis ins 13. Jahrhundert (...) findet sich keine Anleitung, die auch nur annähernd das darstellt, was uns Yoga, Zen, Transzendentale Meditation und viele andere Schulen heute gebrauchsfertig anbieten.“

Fazit
Die Frage, ob sich die sogenannten Mystikerinnen und Mystiker aller Religionen letztlich auf dieselbe Wirklichkeit beziehen, kann man natürlich nicht wirklich entscheiden. Alles, was wir haben, sind Beschreibungen und Geschichten. Wer es darauf anlegen will, kann mit viel kreativer Interpretation hier und da alles so umdeuten, bis schließlich der Eindruck einer solchen Einheit entsteht. Das wäre dann aber nichts weiter als eine neue Geschichte. Wenn man genauer hinschaut, so scheint es, stellt man in den traditionellen Lehren signifikante Unterschiede fest. Die eigentliche Frage betrifft dann vielleicht eher die grundsätzliche Einstellung zu Diversität und Andersheit, ob man sie als Bedrohung empfindet oder aber als Bereicherung.

Fotos © Wikipedia Commons

Dr. Karsten Schmidt

Dr. Karsten Schmidt

Dr. Karsten Schmidt ist Religionswissenschaftler und Lehrbeauftragter mit Schwerpunkt auf den indischen Religionen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Kommentare  
# A.N. 2021-08-18 07:41
danke!
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