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Diskurs

Wo bleibt die Ethik, wenn der Buddhismus zur individuellen Lebensphilosophie wird?

Kann der Buddhismus von seinen religiösen Elementen getrennt werden? Was ist der verbleibende Rest? Eine säkulare Lebensphilosophie? Bleibt bei ihr buddhistische Ethik erhalten? Um diese Fragen beantworten zu können, gilt es zunächst, den Buddhismus als eine Religion vorzustellen und zu klären, was diese von einer säkularen Lebensphilosophie unterscheidet. Darauf basierend kann die Frage nach buddhistischer Ethik betrachtet werden.

Lebensbewältigung mithilfe der Buddhas

Beginnen wir mit der Religion des Buddhismus in seinen asiatischen Ursprungsländern. Fragt man einen Japaner oder eine Japanerin nach den Vier Edlen Wahrheiten oder nach den wichtigsten ethischen Geboten des Buddhismus, erntet man häufig nur einen erstaunten Blick. Dennoch kann man dieselben Personen später in einem Tempel antreffen, wo sie ein Bittritual durchführen, einen Talisman kaufen oder an einer Zeremonie teilnehmen. Buddhismus in Japan und in weiten Teilen Asiens ist eine Religion der Praxis. Im Mittelpunkt stehen Shakyamuni Buddha, Bodhisattvas und eine Fülle weiterer Buddhas. Schilderungen der übermenschlichen Fähigkeiten des Buddhas sind in Legenden und in Statuen und Bildern festgehalten. Sie veranschaulichen die religiös wirksamen Fähigkeiten, die asiatische Buddhistinnen und Buddhisten Buddhas, Nonnen, Mönchen und Priestern zuschreiben. Von ihnen erwarten sie eine Verbesserung ihres Karmas im Diesseits und Jenseits.

Asiatische Buddhisten verstehen Talismane und Amulette als mit religiöser Kraft aufgeladen. Durch den Kauf von Talismanen, die Gabe von Reis oder Geld sowie die Durchführung von Ritualen erwerben sie rituelle Tugend, die sich dafür einsetzen lässt, das eigene Karma oder das Karma der Toten zu verbessern. Damit die religiösen Kräfte wirken können, gilt es, ein achtsames und menschenfreundliches Leben zu führen. Eine thailändische Buddhistin, die gerade einen Buddha-Talisman gekauft hat, sagte mir, dass sie die kleine Figur daran erinnere, stets ihr Bestes zu geben. Ein japanisches Ehepaar lässt sein neues Auto in einem Tempel weihen und bekräftigt, dass es sich mit Buddha im Geiste umsichtiger und sicherer Auto fahren ließe. Deutlich wird: Der Glaube an die Kräfte des Buddhas und ein tugendhaftes Leben gehören untrennbar zusammen. Der lebendige Buddhismus in Asien manifestiert sich als Form der Lebensbewältigung mit jenseitiger Unterstützung.

Transformationen

Die asiatischen und westlichen Intellektuellen, die den Buddhismus seit dem 19. Jahrhundert globalisiert haben, ignorierten die sozialen Realitäten des gelebten Buddhismus in Asien. Sie waren vor allem fasziniert von den buddhistischen Methoden der Versenkung. Buddha Shakyamuni habe die buddhistische Wahrheit in stiller Versenkung aus sich selbst heraus gefunden. Priester, Mönche und Nonnen in Asien wiederholen den Akt des Erwachens vor allem als eine Art der Wiederaufführung, um die Überlegenheit und Wirksamkeit der buddhistischen Praxis für die Gemeinschaft unter Beweis zu stellen. Die Intellektuellen, die den Buddhismus weltweit bekannt gemacht haben, lösten die Methoden und Lehren der Versenkung aus diesem sozialen Kontext. Die buddhistische Versenkung als ein Akt der Bestätigung buddhistischer Wahrheit verwandelte sich unter den Bezeichnungen „Meditation“ und „Achtsamkeit“ in einen individuellen, säkularen Heilsweg. In der Folge verstehen Menschen nicht nur im sogenannten Westen, sondern in den urbanen Zentren spätmoderner Gesellschaften weltweit ihre Form des gelebten Buddhismus nicht als Religion, sondern als eine Lebensphilosophie.

Ethik

Das Problem mit der Ethik

Inwiefern kann nun der Buddhismus als eine säkulare Lebensphilosophie mit einer bestimmten Ethik in Verbindung gebracht werden? Wie wir bereits gesehen haben, sind die Selbstverpflichtungen asiatischer Buddhistinnen und Buddhisten, als gute Menschen zu agieren, in ihren sozialen Kontexten eng mit der buddhistischen Praxis verbunden. Explizite Bekenntnisse zu einer buddhistischen Ethik findet man außerhalb der Schriften oder Ansprachen buddhistischer Gelehrter eher selten. Damit steht der Buddhismus nicht allein da. Im Zuge der Globalisierung glichen sich nicht christliche Religionen dem christlichen Vorbild an und formulierten eine für sie spezifische dogmatische Ethik. Vielfältige und lokal stark unterschiedliche Traditionen wurden dabei vereinheitlicht. Das Gewicht verschob sich von der Praxis zur Theorie. Diese Entwicklung beobachtet man auch im Fall des Buddhismus. In den Vordergrund rückten Werte wie Achtsamkeit, Gleichberechtigung, Friedfertigkeit, ein Bekenntnis zur Demokratie und den universellen Menschenrechten – also Konzepte, die wir im historischen Buddhismus so nicht finden. Vergleicht man nun den Buddhismus in seinen asiatischen Herkunftsländern mit dem Konzept des Buddhismus als säkularer Lebensphilosophie, so fallen zwei Dinge ins Auge:

Die Hoffnungen und Erwartungen von Menschen, Wohltaten durch die als religiös wirksam gedachten Kräfte der Buddhas zu erlangen, spielen in den säkularen Formen des Buddhismus keine Rolle mehr. Im säkularen Buddhismus ist der einzelne Mensch für sich selbst verantwortlich. Die Ethik, die ihn dabei unterstützen soll, ist neu und diesseitigen Ursprungs.

Durch den neuen Fokus auf das Individuum und die Formulierung einer diesseitigen, säkularen Ethik wurde der Buddhismus an die Nachfragen moderner Menschen angepasst.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 120: „Lebendiger Buddhismus"

UW120


Diese Entwicklung birgt Risiken und Nebenwirkungen. Traditionalisten und Kritiker fragen, wie ethische Bemühungen ohne einen jenseitigen Bezug mobilisiert und auf Dauer in das eigene Leben integriert werden können. Lehren über Achtsamkeit und Meditation vermitteln die Relativität, Fluidität und Vergänglichkeit unserer Urteile, Erfahrungen und Empfindungen. Die Praktizierenden werden dabei allerdings auf die materielle Ebene, ihren Körper, zurückgeworfen. Reicht dies als Spender von Wahrheit und Weisheit allein aus? Es lässt sich häufig beobachten, dass sich westliche Buddhistinnen und Buddhisten bejahend über buddhistische Ethik im Allgemeinen äußern, doch diese im Einzelnen nicht benennen können. Betont wird vielmehr, dass das Attraktive am Buddhismus gerade darin bestehe, dass es keine starren und einengenden Regeln und Normen gäbe. Hier läuft die Rede über eine buddhistische Ethik Gefahr, sich in ein Mittel zur positiven Selbstdarstellung zu verwandeln. Angesichts dieser Beobachtungen stellt sich die Frage, was ernst genommene buddhistische Ethik von solcher Zurschaustellung moralischer Werte unterscheidet. Diese Frage muss in der westlichen buddhistischen Community ernsthaft diskutiert werden.

Prof. Dr. Inken Prohl, Religionswissenschaftlerin, Japanologin und Mediatorin. Sie lehrt an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. www.inken-prohl.com

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Prof. Dr. Inken Prohl

Prof. Dr. Inken Prohl

Inken Prohl hat viele Jahre in Japan zum Buddhismus geforscht. Sie interessiert sich vor allem für die Auswirkungen buddhistischer Lehren und Praktiken für die Lebensführung asiatischer und westlicher Buddhisten und die Transformationen, die sich dabei beobachten lasse...
Kommentare  
# Meisenbacher , Uwe 2023-10-13 15:42
Kann der Buddhismus von seinen religiösen Elementen getrennt werden?
Ja!
Was ist der verbleibende Rest? Eine säkulare Lebensphilosophie?

Nein. =Säkularer Buddhismus=

Bleibt bei ihr buddhistische Ethik erhalten?

Ja!

Säkularer Buddhismus, braucht keine religiösen Elemente um Buddhas Pfad der Weisheit „ Mache das Heilsame, lasse das Unheilsame“ zu praktizieren !

Achtsamkeit, Meditation, Ethik, Moral und der mittlere Weg werden
ohne religiösen und dogmatischen Elementen praktiziert.

Mit freundlichen, säkularen, heilsamen, buddhistischen Grüßen.

Uwe Meisenbacher
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