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Diskurs

Ist der tibetische Buddhismus mit der Ethik und den Werten der westlichen Kultur vereinbar? Ein Gespräch mit Christine A. Chandler, Autorin des Buches: „The Guru Cult of Tibetan Buddhism“.

U\W: Sie waren mehr als dreißig Jahre leidenschaftlich bei Shambala aktiv, bevor Sie den tief gehenden Wandel von einer hingebungsvollen Praktizierenden zur radikalen Kritikerin des tibetischen Tantrismus vollzogen. War das die Reaktion auf einen Schlüsselmoment oder eher das Ergebnis angehäufter Erfahrungen?

Christine A. Chandler: Meine Reise als enthusiastische Praktizierende begann ziemlich schnell. So ist es vielen Angehörigen der „weichen“ Wissenschaften ergangen: den Psychologen, Lehrerinnen, Sozialarbeitern und Künstlerinnen, die Chögyam Trungpa (1939–1987) über die „kontemplative Psychologie“ und andere „akademische“ Programme des Naropa-Instituts adressierte und dann süchtig nach tibetischer Lama-Guru-Verehrung machte.

Zunächst wurden wir in tage- und monatelangen Theravada-Retreats und -Lehren „befriedet“, bis uns schließlich die Mahayana-Lehren eingebläut und wir als „weltrettende“ Bodhisattvas eingeordnet wurden. Uns wurde glauben gemacht, wir hätten ganz viele Leben voller Befleckungen hinter uns und kämen da nur raus, wenn wir in allem den Gurus folgen. Entsprechend den okkulten Vajrayana-Lehren mache uns das zu erleuchteten Wesen, die dann die Welt zu verändern.

Aber dann haben Sie etwas gründlicher hinter die Kulissen geschaut …

So war es. Recht plötzlich dämmerte mir, was da eigentlich geschah. Ich war in einem Kult mit Warlords aus dem 8. Jahrhundert gelandet, die einander verehrten. Erwarteten sie von uns wohl das Gleiche?

Doch schließlich durchbrachen all die unterdrückten und geleugneten Realitäten, die ich beobachtet und erfahren hatte, der ganze körperliche, finanzielle und sexuelle Missbrauch meine eigenen Verteidigungswälle. Und das, obwohl uns doch wieder und wieder gesagt wurde, dass alles, was wir wahrnehmen, was wir mit unseren eigenen Augen sehen, nichts weiter als eine „konzeptionelle Realität“ sei, eine dualistische Wirklichkeit. Das alles wäre „nichts als ein Traum“, eine „Illusion“, hieß es ständig.

Sie hatten über viele Jahre auch Zutritt zum inneren Kreis von Shambala?

Ja, die Wirklichkeit brach über mich herein, so total klar und einschneidend, weil ich einen Sitz in der ersten Reihe derer einnahm, die Zugang hinter die Kulissen hatten. Ich war die Betreuerin von Trungpas Sohn und seines inneren Kreises. Das alles war einfach zu viel, um weiter ignoriert und einfach abgeheftet zu werden.

Welche Reaktionen kamen nach der Veröffentlichung Ihres Buches von Ihren früheren Gefährtinnen und Gefährten?

Die öffentlichen Reaktionen waren zunächst positiv, da der innere Kreis der Trungpa-Schülerinnen und Schüler tat, was diese Leute immer tun: Sie ignorieren „Häretiker“, wie sie mich nun nannten, in der Öffentlichkeit. Ich erzeugte einen kognitiven Missklang, der weder toleriert noch erlaubt werden konnte. Sie arbeiteten alle zusammen. Aber dann schlugen sie brutal zurück, insbesondere die „kontemplativen Psychologen“ vom Naropa-Institut, die mein Buch in die Tonne traten und mich als eine „politisch rechte Christin“ etikettierten.

Guru

Haben Sie jemals erwartet, irgendeinen Einfluss auf Ihre früheren Mitstreitenden ausüben zu können?

Sie waren wahrscheinlich niemals erreichbar, da programmiert, missbräuchliche Handlungen der Lamas wie das Schlagen von Anhängern als „Segnungen“ zu sehen. Der Widerspruch zwischen eigener Erfahrung und den Erklärungen der Lamas brachte sie in eine Zwickmühle, die ihr eigenes Erleben infrage stellte. Ihre Wahrnehmungen seien nämlich von all den schlechten Taten der Vergangenheit überschattet und hielten sie so davon ab, die Realitäten korrekt zu sehen. Entsprechend den Mahayana-Lehren sehen nämlich allein die Lamas und deren innere Kreise die Wirklichkeit richtig.

Ich kann mir vorstellen, dass die Abkehr von religiösen Überzeugungen, welche die Hälfte eines Lebens geprägt haben, und der Abschied von Freunden, mit denen man eine ganze Biografie teilt, ein komplizierter Prozess ist.

Der schwerste Teil war nicht der Abschied von den engen Freunden und der über fast dreißig Jahre gewachsenen Gruppenzugehörigkeit, die mit verschwanden, sondern von meiner Gewohnheit der Shambhala-Meditation mit ihrem Fokus auf Stille und Abgeschiedenheit. In einem anderen Leben wäre ich vielleicht ein Waldmönch geworden. Ich verstand zunächst nicht, wie ich mich überhaupt auf diesen Gruppenkult einlassen konnte. Dann wurde mir klar, dass die vermeintlich tiefen Freundschaften nur in meinem Kopf existierten, und genauso war es bei den anderen Shamabala-Freunden. Ich war zur Häretikerin geworden, weil ich selbst zu denken begann. Das war eine schockierende Einsicht.

Denken Sie oft an diese Zeit zurück?

Nein, ich vermisse niemanden. Ich kann mir beispielsweise auch nicht vorstellen, dass Heroin- oder Alkoholabhängige ihre Drogen vermissen, sobald sie sich von ihrer Sucht befreit haben. Sehen Sie, Teil eines jeden Kults ist doch die Herdenmentalität – oder etwa nicht? Wirkliche Freunde findet man in solchen Gruppen nicht, auch wenn es schwerfällt, sich das einzugestehen. 

Was gab Ihnen die Stärke, Ihren persönlichen Überzeugungen gegen alle Widrigkeiten zu folgen?

Nun, es war traurig und schmerzhaft. All die Energie, die ich in meinem Beruf als Schulpsychologin eingesetzt habe, um sexuellen Missbrauch zu thematisieren, mich in gefährliche Situationen zu begeben, um Kindern in soziopathischen, oft sexuell missbräuchlichen Erfahrungen mit Erwachsenen zu helfen, kehrte plötzlich wieder zurück zu mir. Meine früheren Stärken waren auf einmal wieder da. So ging ich damals damit um. Und heute stütze ich mich auf das Gefühl, gesagt zu haben, was zu sagen war. Ich habe getan, was ich vermochte zu tun. Daran ist nichts zu bedauern.

Es sieht so aus, als würden Sie den Buddhismus völlig demontieren. Ist da noch irgendetwas übrig von Ihren früheren buddhistischen Überzeugungen?

Obwohl ich nicht zum Katholizismus zurückkehrte, denke ich, dass diese frühen Werte: nicht zu töten, nicht zu stehlen, nicht zu lügen und Promiskuität abzulehnen, alle wiederkehrten. Nur nebenbei: Das Tantra mit seinem „Gesetz der Umkehrung“ schlägt all das in den Wind, wenn gesellschaftliche Sitten verletzt werden dürfen, um den „nichtdualen“ Zustand zu erreichen. Diese Werte waren in mir tief verwurzelt und langfristig wichtiger. Meine ethischen Werte waren intakt. Ich muss sagen, meine monatelangen Retreats zu Beginn meiner buddhistischen Laufbahn, bei denen ich die Vinaya-Gelübde nahm, machten mich feinfühlig für die Ethik des frühen Buddhismus. Das hatte tiefe Wirkungen, die anhielten.

Wie sieht Ihre Prognose für die Zukunft des (tibetischen) Buddhismus im Westen aus?

Für eine Weile sehe ich noch Wachstum. Aber langfristig ist der tibetische Buddhismus nicht vereinbar mit der Ethik und den Werten der westlichen Kultur, ihren Gesetzen, ihren Grund- und Freiheitsrechten. Es ist ein Kult der Guru-Verehrung. Das ist es, was tibetischer Lamaismus stets war und immer sein wird, gemäß seinen eigenen Lehren. Ganz egal ob in kleinen Gruppen wie zu den Tagen Milarepas, als Massenbewegung in den asiatischen Ländern oder im Westen im großen Umfang in den letzten fünfzig Jahren.

 Auszüge aus dem Buch von Christine A. Chandler „Enthralled. The Guru Cult of Tibetan Buddhism“ Second Edition, Walk Away Publishing 2019

„Trungpa hatte seine Schüler mit eiserner Hand im Griff. Isoliert in Hotels während der Nebensaison oder abgelegenen Retreat-Orten in den Bergen waren sie seiner vollständigen Kontrolle und der aufdringlichen Überzeugungskraft seines inneren Kreises ausgesetzt. Hier zelebrierte er seine Partys im Vajrayana-Stil: Alle wurden aufgefordert, sich nackt auszuziehen, um ihre Loyalität zu Trungpa und ihre Bereitschaft für den tantrischen Pfad unter Beweis zu stellen. Trungpa sagte, das sei notwendig, damit weder vor dem Vajra-Meister und Guru noch vor der neuen Familie der Vajra-Brüder und -Schwestern irgendetwas etwas verborgen bleibe oder zurückgehalten werde. […]

Als der bereits völlig entkleidete und extrem aufgeregte Trungpa bemerkte, dass Merwin und seine Freundin kurz zuvor gegangen waren, weil sie nicht mitmachen wollten, erlaubte er das nicht. Hier mache niemand sein „eigenes Ding“. Sofort schickte er seine Vajra-Wächter los, um die beiden aus ihrem Zimmer zu holen, wenn nötig, auch mit Gewaltanwendung. Sie sollten Trungpa und der Gruppe beweisen, dass sie entschlossene Vajrayana-Schüler sind, Teil der Vajra-Familie und würdig, in der Gegenwart des großen Meisters zu verweilen. […]

Als Trungpas Vollstrecker auftauchten, griff der sonst völlig friedliebende Merwin im Zimmer nach einer zerbrochenen Bierflasche, um die Männer abzuwehren. Diese aber brachen die Tür auf und drangen in den Raum ein. Es kam zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, und obwohl Merwin, ein Pazifist, sich nach Kräften wehrte, wurden er und seine Freundin zu der Nacktparty gezerrt und ihnen von Trungpa und der Gruppe die Kleidung vom Leib gerissen.

Weder Proteste noch Hilferufe von Merwin und Dana vermochten eine Bresche in die Schafherde von Trungpas gehorsamen Kult-Anhängern zu schlagen. Gelähmt durch ihr eingefrorenes Gruppendenken waren sie programmiert, alles, was ein tibetischer Lama wie Trungpa ihnen sagte, als „große Lehren eines großen Meisters“ zu sehen […]

Als Merwins Freundin Trungpa einen „Nazi“ nannte, schleuderte ihr dieser schlimme rassistische Kommentare an den Kopf. […] Einer der Vajra-Wächter hatte plötzlich einen klaren Bewusstseinsmoment und wollte den Streit beenden. Da brachte ihn Trungpa mit einem kräftigen Boxhieb zu Boden.“ (S. 103 f.)

„Als ich dort lebte, kam heraus, dass ein 35-jähriger Pädophiler Sex mit der 14-jährigen Tochter einer der Vorarbeiter hatte und auch mit dessen zehn Jahre altem Sohn. Alle waren schockiert, aber ich erinnere mich auch, dass niemand eine Anzeige erstattete. Der Mann wurde lediglich aufgefordert zu gehen. Das ist die Art und Weise, wie solche ‚Es-ist-nichts-geschehen-Gruppen‘ stets reagieren. Das Ansehen der Gruppe zu schützen […] war das, worauf es ankam; öffentliche Ermittlungen würden die Zeitungen auf den Plan rufen.“ (S.170).

Guru

„Die Männer in den Gruppen des tibetisch-tantrischen Buddhismus müssen bereit sein, ihre ganz natürliche Loyalität zu ihren Frauen, Freundinnen und Töchter aufzugeben und auf ihren Schutz zu verzichten, befördert durch Totschlagargumente, wie ‚alle unnötigen Anhaftungen fallenzulassen‘ und ebenso alle ‚Hindernisse geschaffen durch das Ego‘; so wird es möglich, dass ihnen die Lamas schließlich Hörner aufsetzen.“ (S. 230)

Übersetzung: Hans-Günther Wagner

Ich habe den Eindruck, dass das meiste, was Sie über den Buddhismus sagen, durch Ihre früheren Vajrayana-Erfahrungen geprägt ist. Aber heute haben wir im Westen doch ein breites Spektrum buddhistischer Aktivitäten, das von Rainbow-Buddhist*innen bis zum Buddhismus als Wellnesskult reicht; wir sehen eine wachsende Zahl von Umweltaktivisten, die sich auf Achtsamkeit und Mitgefühl stützen. Und es gibt sogar so etwas wie eine buddhistische Ökonomie, die alternative Konzepte für eine Wirtschaft der Zukunft entwickelt, nicht länger basierend auf Gier und Ausbeutung. Ich habe Zweifel, dass das alles das Ergebnis der Manipulation einiger tibetischer Lamas sein soll oder Ausdruck eines primitiven Weltbildes – und warum unvereinbar mit westlichen Werten?

Buddhismus hieß für mich immer, einen klaren Blick auf die Dinge zu haben.

Für Tausende von Jahren ist Buddhismus als Staatsreligion benutzt worden, um despotische Herrschaft zu rechtfertigen, in seiner lamaistischen Form, als Zen-Kamikaze-Version oder in dem, was der (Hassprediger-)Mönch Wirathu heute in Burma treibt. Buddhismus ist nicht friedfertig, wenn er in Gruppen praktiziert wird. Und die buddhistische Ökonomie, das ist das Lhasa-Modell des alten Tibet, noch einmal für das 21. Jahrhundert auf Hochglanz poliert:

ewige Leibeigenschaft in „Gleichheit“ (für jedermann, außer einige wenige), so wie es im alten Tibet und anderen totalitären Gesellschaften herrschte. Nur ist hier noch eine religiöse Komponente eingeplant. „Achtsamkeit“ ist heute ein Lockmittel und eine Technik, um die Menschen gefügig zu machen.

Hm, haben Sie noch eine letzte Botschaft an die buddhistischen Gemeinschaften im Westen?

Dieser Beitrag ist meine Botschaft an diese Gemeinschaften. Und dass der spirituelle Weg im Privaten gegangen werden soll und nicht in Gruppen. Zum Schluss noch: Trennt euch von der verführerischen Falle des Tantrismus, das war es nicht, was der Buddha lehrte. Achtet darauf, die Bodenhaftung nicht zu verlieren.

Haben Sie ganz herzlichen Dank für dieses Interview, Christine.

Übersetzt von Hans-Günter Wagner

Christine A Chandler, M. A., war als lizenzierte Sozialarbeiterin und Schulpsychologin tätig, spezialisiert auf Misshandlungen und sexuellen Missbrauch in Familien. Ihre fast dreißigjährige Lern- und Lebenserfahrung innerhalb Shambalas verschaffte ihr intime Einblicke in diese Gruppe des tibetischen Buddhismus. 2017 veröffentlichte sie ein Buch darüber, in dem sie eine fundierte Analyse der tibetischen Tantra-Tradition vorlegte. Heute ist sie wieder glücklich mit der westlichen Achtsamkeitspraxis des Klavierspielens, des Segeln und Ruderns, der Spaziergänge mit ihrem schwarzen Labrador und genießt einfach den Rest ihres Lebens mit ihrem ebenfalls abtrünnigen Ehemann. „Ein Leben ohne rückwärtsgewandtes Bedauern“, wie sie sagt.

Kasten Hintergrund

 

Glossar

Bodhisattva: Ein Wesen, das eine hohe Erleuchtungsstufe erreicht hat, jedoch nicht in das Nirvana eintritt, um weiterhin andere auf ihrem Pfad unterstützen zu können.

Gesetz der Umkehrung: Eine Lehre des Vajrayana-Buddhismus, die besagt, dass man im Dienste höherer Ziele auch anerkannten ethischen und moralischen Werten zuwiderhandeln darf.

Mahayana: Wörtlich: Großes Fahrzeug. Eine Bezeichnung für den späten Buddhismus, der sich neben den alten Pali- auch auf Sanskrittexte gründet, von denen jedoch nicht belegt ist, dass es sich um Worte des historischen Buddha handelt.

Shambala: Im tibetischen Buddhismus ist Shambhala ein mythisches Königreich, das irgendwo in Zentralasien verborgen sein soll. Zugleich ist es der Name einer von Chögyam Trungpa gegründeten Gemeinschaft, basierend auf seiner Vision vom „heiligen Weg des Kriegers“.

Theravada: „Die Lehre der Alten“ – Heute eine Bezeichnung für den frühen Buddhismus, so wie er in den Pali-Texten, den frühesten schriftlichen Aufzeichnungen der Worte des Buddha Shakyamuni, niedergelegt ist.

Chögyam Trungpa: Ein bekannter tibetischer Vajrayana-Meister (1939-1987), der in lange Großbritannien und den USA lebte. Begründer der Shambala-Übermittlung. Vertreter der

Kagyü- und Nyingma-Traditionen des tibetischen Buddhismus. Eine wegen zahlreicher Exzesse sehr umstrittene Persönlichkeit.

Vajrayana: Wörtlich: Diamantfahrzeug - Der tibetische Buddhismus. In dieser Richtung verbindet sich der Mahayana-Buddhismus mit den Tantralehren der Hindu-Religionen sowie dem Bön-Schamanismus Tibets.

Wirathu: Wirathu (geb. 1968) ist ein theravada-buddhistischer Mönch aus Myanmar. Er ist vielfach durch rassistische Äußerungen in Erscheinung getreten. Ihm wird vorgeworfen, zur Verfolgung der Rohingya, einer muslimischen Minderheit in Myanmar, aufgerufen zu haben. Facebook hat seinen Account wegen Aufrufen zu Hass und Gewalt gelöscht.

 


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 121: „Mit allen Sinnen"

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Dr. Hans-Günter Wagner

Dr. Hans-Günter Wagner

Hans-Günter Wagner ist ein traditionsübergreifender Buddhist. Er war fünfzehn Jahre in China beruflich tätig und studierte dort den chinesischen Buddhismus. Heute ist er Chinesisch-Lehrer und Übersetzer buddhistischer Prosa- und Lyrikwerke.
Kommentare  
# S. Braemer 2024-03-09 17:16
Seltsames Interview. Nach dem Lesen habe ich den Eindruck, hier wird eine Dame über ein Thema befragt, zu dessen innerer Essenz sie nie selbst vorgedrungen ist. "Ist der tibetische Buddhismus mit der Ethik und den Werten der westlichen Kultur vereinbar?", fragt Herr Wagner in der Überschrift. Das weckt Interesse. Im Interview geht es dann um körperlichen, finanziellen und sexuellen Missbrauch, den Frau Chandler nach 30 Jahren Shambala in ihrem Buch verarbeitet hat. Das Erlebte ist sicher traurig, es aber mit tibetischen Buddhismus gleichzusetzen oder für sein Charakteristikum zu halten ist ein arger Reduktionismus. Den stellt der Interviewer immerhin kurz in Frage. Frau Chandler wischt die Zweifel mit einer Tirade von Vorwürfen vom Tisch. An dieser Stelle entgleitet das Interview bzgl. der eingangs gestellten Frage.
Was tibetischer Buddhismus wirklich ist, kann man z.B. in Kangyur und Tengyur in jedem tibetischen Kloster oder im Internet nachlesen. Da stecken Teile des Pali-Kanons drin, viele Mahayana-Sutren und am Ende Tantra (rgyd bum). Und selbst das Tantra hat herzlich wenig mit Erotik-Sex zu tun, sondern bietet im Kern einen nonverbalen Weg, den Schüler die Leerheit des Geistes wahrnehmen zu lassen. Davon ist im Interview leider kaum etwas zu lesen. Kein Wort auch darüber, dass der Erfolg einer jeden Lehrmethode nicht allein durch die Fähigkeiten des Lehrers bestimmt wird, sondern dass es auch Schüler mit niederen, mittleren und höheren Anlagen gibt. Frau Chandlers Weg in den Buddhismus ist wohl gleich zu Anfang holprig gewesen, denn sie empfindet die 'tage- und wochenlangen Theravada-Retreats' als 'Befriedung' und die Lehren des Mahayana seien ihr 'eingebläut' worden. Spätestens hier runzelt der Buddhist die Stirn und wünscht ihr ein 'Mädel, mach langsam, und Tantra passt nicht für jeden, genauso wie auch Mahayana oder Theravada nicht Jedermann/frau-s Sache sind'.
Zur Gesprächsleitung:
Aus früheren Veröffentlichungen ist ersichtlich, dass Herr Wagner von einer gewissen Skepsis gegenüber dem Vajrayana geleitet ist, und für seine wiss.-historischen Werke wie 'Buddhismus in China' ist kritischer Abstand zum Gegenstand der Untersuchung durchaus angebracht. Wer jedoch mit einem Interview Beiträge zur Frage liefern möchte, ob tibetischer Buddhismus mit Ethik und Werten der westlichen Kultur vereinbar ist, trägt als Interviewer die Verantwortung dafür, dass wenigstens die gestellten Fragen das Thema umfänglich beleuchten. Wenn die Interviewte darauf nur erlebte Geschichten über das Unbill von Leben und Karma zu berichten weiß, sollte das herangezogen werden für die Frage, ob die Sangha mit diesem Gespräch überhaupt belästigt werden sollte. Zur anfangs gestellten Frage trägt es jedenfalls wenig bei. Für anschlussfähiges Empörungsgequassel gibt es andere Medien als U&W.
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