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Leben

Genderstereotypen sind auch bei vielen Buddhist*innen vorhanden. Ein Gespräch mit Bee Scherer, Religionswissenschaftler*in und Genderforscher*in, wie aus dem Mann-Frau-Denken ausgestiegen werden kann.

Womit beschäftigt sich Genderforschung und „Queer Theory“?

Genderforschung betrachtet die Art und Weise, wie wir als Individuen und Gesellschaften mit Geschlecht umgehen. Es geht in der Ausweitung von Frauenforschung und Feminismus um Fragen der kulturellen Konstruktion von Geschlecht, dessen Erleben und dessen gesellschaftlicher Ausprägung. Wir stellen Fragen, wie „Woher stammt kulturelle Unterdrückung von Frauen und geschlechtsdiversen Menschen?“, oder „Welche Ideen und Strukturen führen zu Geschlechtsnormen und -zwängen?“ und „Wie können unterdrückende Geschlechtsmuster abgebaut werden?“. Oft weisen wir hier auf das Cis-/Hetero-Patriarchat hin, also auf die Idee, dass Gender natürlich festgelegt, in Mann und Frau zweigeteilt, heterosexuell orientiert und hierarchisch zugunsten von Männern eingerichtet ist. In der Queer Theory geht es dann um das Aufbrechen von unterdrückenden starren Konzepten zu Geschlechtlichkeit und zum Ausdruck, zur Performativität, von Gender. Queer Theory bestreitet, dass Geschlecht, Sexualität und Gender starr festgelegt sind – oder in anderen Worten, dass sie essenziell dinglich sind.

Wie werden Gender und Sexualität denn verstanden?

Queer Theory begreift Gender und Sexualität als fließende Spektren, denen wir subjektiv und situationsabhängig Ausdruck geben. Unsere authentischen Ausdrucksfreiheiten werden dabei immer durch Normalisierungsvorstellungen unterdrückt. Neben Fragen wie Genderdiversität jenseits einer klaren Mann-weiblich-Zweiteilung oder von Sexualitäten jenseits monogamer, auf Fortpflanzung gerichteter, mann-weiblicher heterosexualer Beziehungen eröffnet uns Queer Theory auch die Möglichkeit, alle starr zugeschriebenen Eigenheiten infrage zu stellen. Solche erfahren und verkörpern wir als Einzelne im gesellschaftlichen Konstrukt, wie etwa Hautfarbe oder physische und psychische Unterschiede.

Welche Perspektiven eröffnen sich dadurch in den Religionswissenschaften?

Für die Religionswissenschaften sind solche Fragen natürlich besonders wichtig. Religionen beanspruchen ja ethische und soziale Regulationsfunktionen und üben damit Macht bei ihren Anhänger*innen und im weiteren gesellschaftlichen Feld aus. Wie Religionen Gender und Sexualität sehen, hat ganz direkt Auswirkungen auf uns.

Genderstereotypen

Foto © Privat

Was hat Sie motiviert, zu dem Thema zu forschen?

Meine wissenschaftliche Karriere begann ich mit dem Erforschen von alten Texten, Philosophien und Literaturen. Aber für mich war meine buddhistische Praxis immer mit sozialem Engagement verbunden. Als buddhistische*r Lehrer*in versuche ich, dies in meiner eigenen Tradition, dem Tibetischen Buddhismus, stärker nach vorne zu bringen. Auch als queere und Transperson erlebte und erlebe ich Diskriminierung von Ausgrenzung bis hin zu physischer Gewalt immer wieder am eigenen Leibe. Buddhistische Kreise sind da auch nicht immer sehr einladend. Oft trifft man bei sozialem Engagement da auf eine Art von spirituellem Egotismus und auf ein desinteressiertes Überlegenheitsgefühl. Als Wissenschaftler*in fasziniert mich, was mich persönlich sehr stört: die seltsame Kombination von spießiger und ungebildeter Diskriminierung mit einer Garnitur von Dharma-Karma-Platitüden in manchen Gruppen. Dagegen setze ich gern ein breites Gelehrtenarsenal von Text-, Geschichts-, Philosophie- und Feldforschung, um zu versuchen, die sehr komplizierte Genealogie von Konzepten und Erfahrungen – auch betreffs Gender und buddhistischen Traditionen – besser durchleuchten zu können.   

Der Buddhismus lehrt, dass Dinge nicht unveränderlich sind, sondern in gegenseitiger Abhängigkeit entstehen und vergehen. Warum nehmen gerade Buddhist*innen nicht zur Kenntnis, dass auch das soziale Geschlecht so entsteht und Änderungen unterworfen ist?

Auf der philosophischen Ebene ist dies schon erkannt worden! Im Zusammenhang mit der angestrebten Erfahrungsumwandlung in der Meditation sprechen die buddhistischen Quellen von „Bezeichnungen“ oder „Eigenheiten“, „nimitta“, die sich im „samsara“, in der bedingten Welt, hartnäckig zeigen. Dazu gehört auch das instinktive Wahrnehmen von Geschlecht als zweigeteilt, eben mann-weiblich. Man spricht dann auch von dem befreienden „a-nimitta-samadhi“, der „Nichtbezeichnungs“-Versenkung. Die „nimattas“, einschließlich Gender-Binarität, sind in der Erleuchtungserfahrung aufgehoben. Die Verwirklichten, die Arhats, Bodhisattvas und Buddhas, zeigen uns darum auch die Möglichkeit, mit Geschlecht spielerisch umzugehen. Erleuchtung hat kein Geschlecht. Erleuchtung ist jenseits von Geschlecht: „meta-gender“. In der Erleuchtung ist Geschlecht genauso unwesentlich wie alles im Samsara. In der bedingten Welt bleibt allerdings die starre Tendenz, Geschlecht binär, also mann-weiblich, zu denken. Im frühen Buddhismus steht dem noch ein anderes System zur Seite, das sich teilweise auch in Sexualität ausdrückt; dies ist eine vierfache Geschlechtseinteilung.

 

Wie sieht diese vierfache Geschlechtseinteilung aus?

Wie folgt: erstens männlich, „a“, und zweitens weiblich, „nicht a“. Dazu kommen drittens „pandaka“, weder männlich, „a“ noch weiblich, „nicht a“, und viertens beidgeschlechtlich, sowohl männlich, „a“ als auch weiblich, „nicht a“. In diesem Zusammenhang gilt nur „a“, der Mann, als gesellschaftlich befähigt und zentral, das heißt als eine vollständige Person. Frauen, „nicht a“, sind untergeordnet u

nd unterdrückt, aber immer noch Teil der Gesellschaft. Die dritten und vierten Geschlechter werden weitgehend verworfen und ausgeschlossen. Immerhin wird sozial-philosophisch Geschlecht bereits als divers anerkannt.

Genderstereotypen

Und was bedeutet dies für LBSTQIA+ Community?

Viele konservative buddhistische Kreise sehen die meisten zeitgenössischen LBSTQIA+ Personen in den Kategorien drei und vier. Das ist natürlich verkürzt und falsch. Die Ordensregeln der verschiedenen buddhistischen Traditionen akzeptieren etwa das Vorkommen von geschlechtswechselnden Ordinierten. Wichtig ist auch, dass die relativ späten Beschreibungen des dritten und vierten Geschlechts sich nicht mit den heutigen LBSTQIA+ Kategorien decken. Ablehnungen entstanden nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern versuchten, Rufschädigung von den Orden zu vermeiden. Abweisungen zeigen also den heftigen Außendruck auf die damaligen buddhistischen Gemeinden. Interessanterweise gibt es aber in buddhistischen Quellen in verschiedenen Epochen und Ländern auch gute Beispiele. Dazu gehört die alle Aspekte einschließende buddhistische Befreiungslehre. Sie wird höher gewertet als gesellschaftlicher Druck. Hier sind verschiedene Sexualitäten und Gender ausdrücklich willkommen. Wo Gesellschaften sich verändern, verändern sich auch die Spielräume für die Entfaltung des Dharma. Das frühbuddhistische Vierfachschema von Geschlecht lässt sich jedenfalls nicht leicht auf moderne Identitäten abbilden.

Was können und sollten Buddhist*innen aus diesen Erkenntnissen lernen?

Ich würde sagen, es gibt zwei wichtige Lernmomente, die mit zwei Hauptstrategien verbunden sind, um LBSTQIA+ Marginalisierungen innerhalb buddhistischer Traditionen anzugehen. Diese zwei betreffen unser Verständnis von Ursache und Wirkung, also „karma“, und unser eigenes Umgehen mit leidvoller Vergänglichkeitserfahrung, solange unsere Egos nicht in Befreiung und Erleuchtung entspannt aufgehoben sind. Erstens: Auf der karmischen Ebene kann man das bedingte Entstehen von gesellschaftlichen Regelwerken aufzeigen, so erschwert man das vereinfachende Überstülpen von antiken Bezeichnungen auf heutige LBSTQIA+ Personen. In Zusammenhang mit Sexualitäten und Gendervielfalt treffen wir häufig auf ein sehr verkürztes und falsches Verständnis von Ursache und Wirkung.

Wie wird es verstanden?

Karma wird häufig als mechanisch-monokausal, immer wenn x, dann y, missverstanden. Und Karma wird trotz „Nicht-Ich“ immer wieder als sehr persönlich fehlbegriffen. Es ist deshalb wichtig, darauf hinzuweisen, dass die vielen Karma-Theorien in den buddhistischen Traditionen um ein Weites komplizierter sind. Gleichzeitig erschweren wir damit auch die Möglichkeit, Karma-Überlegenheitsgefühle zu entwickeln, und so durch Nichtstun sich an der leidstiftenden Unterdrückung von Gruppen mitverantwortlich zu machen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung Special №. 1: „Buddhismus unter dem Regenbogen"

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Was ist die zweite Hauptstrategie?

In unserer eigenen Praxis können wir den Einsatz gegen Diskriminierung als Teil des buddhistischen Pfades selbst begreifen. Wenn wir uns darin üben, durch das Abbrechen des Egos unser Erleben von vergänglich-leidvoller bedingter Wirklichkeit in die Erfahrung von Befreiung und Erleuchtung umzuwandeln, sind sowohl gesellschaftliches Engagement als auch private Meditation Teil buddhistischer Praxis. Durch die Lehre vom Nicht-Ich erkennen wir die Vorläufigkeit von allen starren menschlichen Merkmalen. In der Mahayana-Lehre finden wir das Konzept der „Buddha-Natur“. Es weist auf das Potenzial zur Befreiung und Erleuchtung hin, das allem innewohnt. Auf diese Art und Weise kann queerer Aktivismus sowohl karmische als auch erleuchtungsbezogene Formen der Erfahrungsumwandlung einschließen.

Prof.*in Dr.*in Bee Scherer hält den Lehrstuhl für Buddhismuskunde an der VU Amsterdam und leitet dort die staatliche Ausbildung „Buddhistische Seelsorge“ (Buddhist Chaplaincy). Scherer ist gleichzeitig als tibetische*r und ökumenische*r Dharma-Lehrer*in weltweit aktiv. Scherers zahlreiche Artikel und Bücher beschäftigen sich u. a. mit Themen der buddhistischen Sozialphilosophie, insbesondere mit Sexualität und Gender auf einer breiten philologischen, philosophischen und buddhistisch kritisch-reflektierenden Grundlage.

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Tobias Trapp

Tobias Trapp

Tobias Trapp arbeitet als Software-Architekt und praktiziert richtungsübergreifend. Er ist einer der Gründer*innen der „Sangha unter dem Regenbogen“, einer Gruppe für LGTB+, die sich für Buddhismus interessieren. Er kümmert sich in Mainz um queere Geflüchtete.
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