nayphimsex

Leben

Sieben Kinder versuchen, sich einen Tag lang der Meditation zu widmen. Ein Vater berichtet vom Kindermeditationskurs.

Kindern werden Algebra, Tischmanieren oder englische Grammatik gelehrt. Aber nichts darüber, sich selbst zu beobachten, um das eigene Wesen kennen und verstehen zu lernen. Im vordigitalen Zeitalter waren wir durch Langeweile gezwungen, uns mit dem rastlosen Geist auseinanderzusetzen. Im Schulbus oder an Ferienvormittagen, bevor um neun Uhr das einzige Fernsehprogramm startete. Heute ist die Langeweile ausgestorben. Es gibt kein Sinnieren mehr, wenn die Landschaft einer endlos scheinenden Zugfahrt vorbeigleitet. Das Smartphone wird ausgepackt, der Geist zugemüllt. Heranwachsende sind ständig von Bildschirmen umgeben, selbst Klassenzimmer sind mit Krimskrams vollgepackt. In meinem hing nur ein Jesuskreuz und das Foto des aktuellen Bundespräsidenten. Als gäbe es im 21. Jahrhundert eine Verschwörung, um uns vom Jetzt abzulenken.

Mir wird bewusst, wie verletzlich sie in diesem Augenblick sind.

Vipassana-Zentren bieten für Kinder Ein- und Dreitageskurse Meditation an. Smartphones, Bücher, alles was ablenkt, müssen zu Hause bleiben. Meine Tochter, zwölf Jahre, und mein Sohn, acht Jahre, haben bereits Kurse besucht. Im Jugend- und Bildungshaus St. Arbogast im vorarlbergischen Götzis in Österreich wurde ein Saal gemietet und ein schlichtes Mittagessen vorbestellt.

Während die obligatorischen Coronatests gemacht werden, lernen wir die Teilnehmenden kennen. Claudia und Martin, die Kursleiter, und ihren dreizehnjährigen Sohn kennen wir bereits. Eine Mutter mit ihrem zwölfjährigen Sohn kommt aus Zürich. Ein Vater ist mit seinem Neunjährigen aus Appenzell angereist. Ein dreizehnjähriges Mädchen erzählt, dass ihr Vater, praktizierender Buddhist, nach einem Meditationskurs für Teenager gesucht und sie aus Oberösterreich hierher gebracht hat. Ein Bursche, vielleicht vierzehn, aus der Umgebung, ich nenne ihn Moritz, wurde von seinen Eltern, die keine Meditationserfahrung haben, abgeliefert. Eine Frau aus Luxemburg und ein Mann aus Sydney sind zum Helfen eingeteilt. Ein kleiner Kurs, sieben Kinder, acht Erwachsene. Wegen der unplanbaren Coronasituation sind nicht mehr gekommen.

Kinder

Um neun Uhr geht es los. Wie üblich sind die Teilnehmerinnen auf der rechten und die Männer auf der linken Seite vor dem Lehrer und der Lehrerin aufgereiht. Der eigentliche Lehrer, Goenka, spricht über Tonaufzeichnungen in Englisch zu uns, es folgt eine deutsche Übersetzung. Er erzählt, wie Buddha als Kind darauf kam, den eigenen Atem zu beobachten, um den Geist zu konzentrieren. Im Anschluss daran die fünf Silas für Kinder: nicht töten, stehlen und lügen, niemanden verletzen und keine Drogen. Dann die gemeinsame Bitte, uns die Anapana-Meditation beizubringen. Die Kinder, besonders die neuen, tun sich schwer damit, ruhig zu bleiben. Ich versuche, mich in sie hineinzuversetzen. Mir wird bewusst, wie verletzlich sie in diesem Augenblick sind: Goenka erzählt mit mystischer Stimme, in einer unbekannten Sprache schwer verständliche Dinge. Erwachsene und Eltern sitzen mit geschlossenen Augen regungslos da. Welchen Eindruck hinterlässt das bei unseren Schützlingen, und woher nehmen wir die Gewissheit, dass diese Technik ihnen helfen wird?

9:45 Uhr, Spielzeit. Jeder schreibt einen Satz, faltet das Blatt nach hinten und gibt es in der Runde weiter. Am Ende haben wir einige abstruse Geschichten.

Um 10:30 Uhr die nächste halbstündige Unterweisung. Goenkas Thema: Warum konzentrieren wir uns auf den Atem und nicht zum Beispiel auf eine Statue? Den Kindern fällt es zusehends schwer, still zu sitzen. Moritz beginnt, mit seiner Brille zu spielen, und stört die sich anbahnende Stille. Das, obwohl Goenke eben zuvor Brillentragende aufgefordert hat, diese abzulegen. Ich bitte Moritz, seine Brille abzulegen und sich auf den Atem zu konzentrieren. Er wetzt weiter herum und beschäftigt sich mit den Hautunreinheiten seiner Oberschenkel. Später wird er mir erzählen, dass er viel Zeit mit Computerspielen verbringt. Ist das der Grund für seine Unruhe?

Dreißig Minuten still sitzen scheint für sie die Ewigkeit.

Auch mein Sohn wechselt ständig seine Position, verbringt aber zu Hause kaum Zeit hinter dem Bildschirm. Ich versuche, meine drei Kinder von Bildschirmen fernzuhalten. Nur ab und zu schauen wir gemeinsam einen Film oder suche ich meiner Tochter einen YouTube-Film aus, um ihrer Kreativität Ideen zu geben. Trotzdem, Langeweile kennen meine Kinder nicht. Sie haben Zugang zu unzähligen Büchern, eine schier unendlich scheinende Auswahl an Spielzeug, einen Garten mit Schwimmteich und Hühner. Ist das Gutgemeinte vielleicht zu viel? Oder bin ich zu kritisch? Ich erinnere mich an meine ersten Meditationsstunden, bis ich den Geist, der ständig in der Zukunft oder der Vergangenheit verweilte, für eine Minute bändigen konnte. Oder wie lange ich brauchte, bis ich eine einstündige Gruppensitzung regungslos durchhielt.

Eine weitere Stunde Pause. Für die Schülerinnen und Schüler die Highlights des Kurses. Dreißig Minuten still sitzen scheint für sie die Ewigkeit. Das ist eine Erkenntnis, die sie bewusst mitnehmen werden. In der Pause werden Befragungen durchgeführt. Die Kinder kommen zu zweit oder zu dritt und nehmen vor dem Lehrer in Meditationshaltung Platz. Sind die Augen immer geschlossen? Wie lange kannst du den Atem beobachten? Die meisten Schüler geben an, sich rund eine Minute lang auf den Atem konzentrieren zu können. Es gibt einen, der meint, er schaffe das für zehn Minuten. Ich muss über diese Differenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung schmunzeln. Anschließend meditieren die Befragten gemeinsam mit Martin. Das ist der wertvollste Teil des Kurses. Diese drei Minuten bemühen sie sich, still zu sitzen und den eigenen Atem zu beobachten. Martin erzählt mir anschließend, wie herausfordernd der Eintageskurs ist. Der Dreitageskurs bietet mehr Zeit, um in zusätzlichen Sequenzen das Erlernte zu vertiefen. Sobald das österreichische Zentrum fertiggestellt ist, werden dort auch Dreitageskurse stattfinden.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 119: „Zukunft gestalten"'

cover 119


12:00 Uhr. Goenka gibt einige Tipps, wie mit der Unruhe umzugehen ist. Ein Vater demonstriert falsche Meditationshaltungen, und die Kinder dürfen korrigieren. Im Anschluss gibt es für einen Vipassana-Kurs ein ungewöhnliches Mittagessen im Restaurant. Normalerweise hätten alte Schülerinnen und Schüler gekocht und aufgetischt und wir uns das Essen selbst aufgeschöpft. Hier gibt es professionell dekorierte, servierte, wunderbare vegetarische Lasagne.

Ab 13:45 Uhr Vertiefung der Anapana-Technik. Goenka fordert auf, zu beobachten, wo der Atem die Haut berührt. In der Nase, am Nasenausgang, im Bereich der Oberlippe? Zum ersten Mal ist der Raum für mehrere Sekunden totenstill. Bringt der Kurs doch Fortschritte? In jedem Fall habe ich meinen Kleinen eine weitere Option gezeigt, zufrieden zu werden. Gleich bricht die Unruhe wieder aus. Dennoch, die Kinder sind sehr bemüht. Keines quengelt, sie geben ihr Bestes und werden auf die eine oder andere Weise vom Kurs profitieren.

In der letzten Pause sind alle Schranken gefallen. Die jungen Teilnehmer und Teilnehmerinnen spielen ausgelassen mehreren Runden UNO-Flip. Es wird viel gelacht, bevor um 15:30 Uhr nochmals das Wesentliche der Technik wiederholt wird und Tipps für die Anwendung im Alltag gegeben werden. Abschließend wird die Metta-Meditation erklärt und ausprobiert. Wir singen das Metta-Lied. In Deutsch und in Pali. Goenka singt vor und wir ihm nach:

„Jana Jana mangala, mögen alle glücklich sein, Jana Jana mangala, Jana Jana mangala hoye re, mögen alle glücklich sein immer zu.“

Bei diesem simplen Lied kommen Erinnerungen an meine Kurse hoch und eine Wärme gegenüber diesem schrulligen Burmesen, den ich nur von Ton- und Videoaufzeichnungen kenne, der aber trotzdem wie ein alter Freund für mich ist. Goenka beschließt den Kurs wie immer mit: „Be happy, be happy, be happy!“

Meditationskurs für Kinder: www.children.dhamma.org/de
E-Mail: kinderkurse@mudita.dhamma.org
Anmeldung, Infos, Orte, Daten etc. 
Deutschland: www.dvara.dhamma.org 
Österreich: www.mudita.dhamma.org 
Schweiz: www.sumeru.dhamma.org 

Martin Novotny ist Kunststofftechniker. Er war Projektleiter, Entwicklungsleiter, Key Account Manager, Langzeitreisender, Bauleiter, Physik- und Mathematiklehrer sowie Reisebuchautor. Zurzeit ist er in seiner Wahlheimat Schweiz Hausmann und betreut seinen behinderten Sohn. www.v-erfahren.ch

Foto Text und Teaser © Martin Novotny

Bild header © Pixabay

Martin Novotny

Martin Novotny

Martin Novotny ist Kunststofftechniker. Er war Projektleiter, Entwicklungsleiter, Key Account Manager, Langzeitreisender, Bauleiter, Physik- und Mathematiklehrer sowie Reisebuchautor. Zurzeit ist er in seiner Wahlheimat Schweiz Hausmann und betreut seinen behinderten Sohn.
Kommentar schreiben

Gemeinsam machen wir den Unterschied Unterstutze uns jetzt 1