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Leben

Viele Menschen, die in Psychotherapie gehen, blicken sorgenvoll in die Zukunft. Depressionen und Ängste können dies verstärken.

Einmal kam eine Frau in Therapie, weil sie starke Schmerzen hatte. Doch die Ärztinnen und Ärzte konnten dafür keine körperlichen Ursachen finden. Sie empfahlen Psychotherapie. In den ersten Stunden war die Frau voller Wehklagen. Sie betonte immer wieder, dass es ihr überhaupt nicht gut gehe und ihr niemand helfen könne. Die Psychotherapeutin unterbrach die Frau nicht. Sie gab keine Ratschläge, sondern hörte geduldig zu. Das war die Frau nicht gewohnt. Normalerweise versuchten andere Menschen, sie zu beruhigen. Doch das führte dazu, dass die Frau umso heftiger jammerte. Die Therapeutin zeigte Verständnis für die Sorgen. Die Frau fühlte sich gehört und wurde ruhiger. Im Laufe der Zeit erzählte sie mehr von ihrem Leben. Ihr Mann war an Krebs gestorben. Sie machte sich große Sorgen über ihre Zukunft, weil sie in einigen Jahren in Pension gehen sollte. Sie war viel allein. Im Zuge der Coronakrise war die Einsamkeit größer geworden. Die Frau hatte einen erwachsenen Sohn. Dieser war verheiratet, hatte zwei Kinder und lebte in einer anderen Stadt. Viele Freundinnen und Freunde hatten sich von der Frau abgewandt. Ihnen wurde das Jammern zu anstrengend. Umso häufiger suchte sie Ärztinnen und Ärzte auf. Die Frau sah nur einen Ausweg. Sie wollte mit Eintritt der Pension unbedingt zur Familie ihres Sohnes ziehen. Doch dieser war davon nicht begeistert, weil er mit der Situation der klammernden Mutter überfordert war.
Die Schmerzen der Frau waren ein Hilfeschrei. Doch er wurde lange Zeit nicht erhört. Je mehr sich andere Menschen abwandten, desto größer wurden die Beschwerden. In der Psychotherapie ging es zunächst darum, dass die Frau ihr Muster erkannte. Ihr wurde klar, warum andere Menschen mit ihr wenig Zeit verbringen wollten. Gleichzeitig half ihr die Therapeutin, den Fokus der Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Schmerzen und die dahinterliegenden Zukunftssorgen, sondern auf andere Dinge zu lenken. Dies war nicht einfach. Es erforderte Übung.

PsychotherapieDie Schmerzen traten meist in bestimmten Situationen auf – vor allem wenn sich die Frau einsam fühlte. Auch hier gelang es ihr, neue Dinge auszuprobieren. Sie machte während der Coronapandemie online einen Sprachkurs und lernte im Internet andere Menschen kennen. Sie machte beispielsweise über die Onlineplattform Zoom bei virtuellen Spieleabenden mit. Zwar fiel die Frau manchmal in das alte Schmerzmuster zurück. Doch die Therapeutin ermunterte sie, nicht aufzugeben. Hier zeigen sich Parallelen zwischen Buddhismus und Psychotherapie. Im Buddhismus und im Yoga ist vom Anhaften und vom Festhalten die Rede. Dabei handelt es sich um leidvolle Zustände. Heilvolle Veränderungen sind nur über das Loslassen möglich, wie die Geschichte dieser Frau zeigt. Als sich die Frau von den Zukunftsängsten befreite, ging es ihr besser. Auch das Verhältnis zu ihrem Sohn und zu anderen Menschen entspannte sich.
Christian Höller, ist Psychotherapeut und Coach. Er ist zur Verschwiegenheit verpflichtet und erzählt in dieser Kolumne fiktive Situationen aus dem psychotherapeutischen Alltag.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 119: „Zukunft gestalten"'

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Christian Höller ist Psychotherapeut und Coach in Wien. Er ist zur Verschwiegenheit verpflichtet und darf daher über keine realen Therapiesitzungen berichten. Er erzählt in dieser Kolumne fiktive Situationen aus dem psychotherapeutischen Alltag

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Christian Höller

Christian Höller

Christian Höller, MSc., ist akademisch ausgebildeter Psychotherapeut und Coach in Wien. Seine Fachrichtung ist Integrative Therapie. Seine Praxis befindet sich im vierten Bezirk. Er ist unter anderem spezialiert auf folgende Themen: Achtsamkeit, Spiritualität, Krisen, Burn-out, Lebensbegleitungen...
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