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Buddha & Psyche

Immer mehr Menschen sind einsam. Sie fühlen sich abgeschnitten von der Lebendigkeit des Lebens.

Ein Mann kam in Psychotherapie, weil ihm dies die Leiterin einer Meditationsgruppe empfohlen hatte. Sie spürte, dass es dem Mann nicht gut ging. Er war nett und angepasst. Doch es waren wenig Lebendigkeit und Lebensfreude in ihm erkennbar. Er fiel in der Meditationsgruppe kaum auf und hatte vor und nach den Einheiten wenig Kontakt zu anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Der Beginn der Psychotherapie war nicht einfach. Der Mann war zurückhaltend. Es stellte sich heraus, dass er einsam war. Er schämte sich, dies zuzugeben und über die Einsamkeit zu sprechen. Seine Frau hatte ihn verlassen, die Kinder waren erwachsen. Nach der Scheidung zog er sich zurück. Er sagte, er sei im Leben gescheitert. Er machte sich viele Selbstvorwürfe. Er glaubte, dass er langweilig sei und dass andere Menschen nicht viel mit ihm zu tun haben wollten.

Der Mann beschrieb die Einsamkeit als trauriges und unangenehmes Gefühl. Es gab in ihm eine starke Sehnsucht nach mehr Verbundenheit und intensiveren Kontakten. Doch gleichzeitig hatte er Angst vor Ablehnungen. Daher zog er sich immer mehr zurück. Damit sank sein Selbstwertgefühl. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Depression.
Leider wird Einsamkeit in unserer Gesellschaft stigmatisiert, obwohl viele Menschen davon betroffen sind. So gaben in Deutschland vor der Pandemie zwischen zehn und zwanzig Prozent der Erwachsenen an, unter chronischer Einsamkeit zu leiden. Als erstes Land der Welt hat Großbritannien ein Ministerium eingerichtet, um Betroffenen zu helfen. Auch in Deutschland fordern Expertinnen und Experten einen entsprechenden Aktionsplan. Der frühere US-Präsident Barack Obama sieht in der Einsamkeit „die soziale Regression des 21. Jahrhunderts“.

einsam

Bei dem Mann ging es in der Psychotherapie darum, sich der Einsamkeit und den damit verbundenen Gefühlen sowie dem inneren Schmerz zu stellen. Früher lenkte er sich ab – durch die Arbeit, durch Internetspiele und Fernsehen. Außerdem wurden bei ihm in Krisenzeiten negative Gefühle getriggert. So kamen nach der Scheidung alte Gefühle der Einsamkeit hoch, wodurch er den Auszug der Frau aus der gemeinsamen Wohnung als besonders bedrückend erlebte. In der Psychotherapie erzählte er, dass er als Kind oft einsam war. Die Mutter war häufig krank, der Vater selten zu Hause. In der Therapie lernte er, sich um sein einsames inneres Kind zu kümmern. Schrittweise fand der Mann aus der Einsamkeit heraus. Er legte seine Selbstvorwürfe ab und entdeckte die Verbundenheit zu anderen Menschen. Er ging nicht nur zu Schweigemeditationen, sondern engagierte sich auch sozial. Er half in der Freizeit bei einem Sozialmarkt mit. Er meldete sich bei einer Wandergruppe an. Durch die Therapie lernte er, offen über die Einsamkeit zu sprechen. Er ging in der Meditationsgruppe aktiv auf andere Menschen zu. Im Laufe der Zeit entwickelten sich daraus Freundschaften.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 120: „Lebendiger Buddhismus"

UW120


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Christian Höller

Christian Höller

Christian Höller, MSc., ist akademisch ausgebildeter Psychotherapeut und Coach in Wien. Seine Fachrichtung ist Integrative Therapie. Seine Praxis befindet sich im vierten Bezirk. Er ist unter anderem spezialiert auf folgende Themen: Achtsamkeit, Spiritualität, Krisen, Burn-out, Lebensbegleitungen...
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